von T. Austin-Sparks
Teil 2 - Fortsetzung: Gideon, David, Nehemia, Apostel Paulus, Das Kreuz und der Dienst
Es ist nicht ohne Bedeutung, wenn wir beachten, dass Gideon keine offizielle Stellung in Israel hatte. Er wurde ein Anführer, weil er den Geist eines Anführers hatte. Verschiedene Details, die diesen Geist der Leiterschaft ausmachen, sind offensichtlich. Lasst sie uns kurz nennen:
1. Gideon war von einem Geist der Verantwortung geprägt . Die Zeit, (in der er lebte) war eine Zeit der Bedrücktheit, der Schwachheit und Armut. Der Feind brachte das Volk des Herrn um sein Brot, um die Mittel für ihren Unterhalt. Der Feind hatte ein wachsames Auge, und es war für jeden gefährlich, der es wagte, seiner Strategie der Aushungerung entgegenzutreten; denn die Schwachheit war ein starker Verbündeter für sein Ziel der Unterdrückung. Sowohl Mut als auch Weisheit waren für jeden Versuch erforderlich, den Plan des Feindes zu unterlaufen. Diese ganze Geschichte zeigt, wie wenige es waren, die wirklich bereit waren, den Preis zu zahlen; mit andern Worten, wie wenige es gab mit einem angemessenen Sinn für Verantwortung. Von den paar wenigen war Gideon der Wichtigste. Er hatte einen Sinn der Verantwortlichkeit für das Volk des Herrn und für seine große Not – einen Sinn der Verantwortlichkeit für die Ehre des Herrn. Der Sinn der Schande und der Schmach; dieser Sinn der Eifersucht und des Unwillens; dieser Sinn dafür, dass die Dinge nicht so waren, wie sie sein sollten, trieb Gideon zum Handeln – zu gefährlichen Taten. Sein ganzes Vorgehen, um den Sinn zu gewinnen, war von einem Geist der Verantwortung inspiriert, der gefährliches Handeln erforderte.
Die erste Phase bestand darin, dass er Weizen drosch in der Weinkelter, um (die Ernte) vor den Midianitern zu verstecken. Hier übte sich einer im Verborgenen, lebenswichtige Bedürfnisse zu befriedigen. Der wahre Anführer ist nicht immer einer, der sich in der Öffentlichkeit grosspurig in Szene setzt. Gideon dachte nicht an Leiterschaft. Sein Handeln hinter der Bühne war kein schlaues, verdecktes Stück Politik oder Dimplomatie, durch das er Kontrolle ausübte oder ein ebenso verborgenes Machtgelüste befriedigte. Es war einfach ein Akt uneigennütziger, selbstloser Sorge, angefacht von einer edlen Absicht und Weite des Herzens. Die Nahrungsfrage war akut und das Volk musste ernährt werden, was immer es ihn persönlich kostete. Das ist genau der Punkt, bei dem Leiterschaft beginnt – in der verborgenen Geschichte des Betreffenden. Man sollte beachten, dass das Auge des Herrn auf dem verborgenen Leben und der verborgenen Übung ruhte. «Der Herr sandte einen Propheten zu den Kindern Israel» (V. 8), doch «der Engel des Herrn kam zu Gideon...»
Der Herr wusste, wo Gideon war, was er tat, und warum er es tat. Der Herr wusste, dass Gideon die Werke des Feindes unterschied und alles unternahm, was sie das unschädlich machen konnte. Es gab nicht viel, was wer tun konnte, und praktisch nichts in der Öffentlichkeit – es war eine Situation, die einen sehr drannehmen konnte; doch war er im Geringsten treu.
Gideon bestand die erste Phase des Test für die Leiterschaft, ohne dass er dafür Ambitionen gehegt hätte – den Test der Treue, der Verantwortung und der Selbstlosigkeit im Verborgenen.
2. Der Test der Demut. Das zweite charakteristische Merkmal, das bei Gott sehr viel zählt, ist die Demut. Verantwortung wurde ihm anvertraut, ohne dass er je Manöver veranstaltet, Ränke geschmiedet, dafür gearbeitet oder irgendwelche Gewalt angewendet hätte, um sie zu erlangen. Im Gegenteil, der Bericht deutet an, dass Leiterschaft etwas war, das Gideon nicht anstrebte, Sagte doch Dr. Tozer: «Ich glaube, dass es als eine ziemlich zuverlässige Faustregel gelten könnte, dass der Mann, der ehrgeizig nach der Führerschaft trachtet, davon disqualifiziert wird».
Auf die erstaunliche Deklaration und den Befehl «des Engels» konnte Gideon nur antworte: «Meine Familie ist die ärmste in Manasse, und ich bin der Geringste im Hause meines Vaters». Seine entschuldbare Bestürzung kommt in seiner Forderung nach einem Zeichen zum Ausdruck – und das ist leicht verständlich angesichts einer solch immensen Verantwortung. Es machte nur vollkommen deutlich, wie wenig Vertrauen der Mann in sich selbst hatte. Er bestand auch in dieser zweiten Phase den Test.
3. Der Test der Heim-Basis . Ein weiterer Test für die Leiterschaft musste absolviert werden, bevor Gideon sich an die Aufgabe machen konnte. Es war das, was wir die Heim-Basis nennen könnten. Die Dinge waren nicht in Ordnung zuhause. Es gab da Kompromisse. Es gab da Vermischung. Der Feind hatte da einen Fußhalt. Im Hause, in der Familie, in seinem Hintergrund gab es etwas, das ihn in einen falsche Position hätten bringen können und das seinen ganzen Feldzug vollständig sabotiert hätte. Er konnte draußen im Feld nicht siegen, wenn der Feind hinter ihm eine Festung besetzt hielt.
Mit andern Worten, es konnte weder in der Welt noch in den himmlischen Bereichen ein echtes Zeugnis geben, wenn dem Zeugnis im privaten Leben widersprochen wurde. Wie sehr die zuhause sich aus Angst auch ärgern, es bestreiten mochten, auf die Dauer mussten diejenigen, die ihn kannten, sagen können, was er in der Öffentlichkeit sei, sei er auch zuhause und privat. Wie viel mehr könnte da noch beigefügt werden, doch beim Herrn und hinsichtlich des äußersten Zieles war dieser Heim-Basis Faktor entscheidend.
4. Die Genügsamkeit des Herrn . Es war in der Tat ein prüfungsreicher Weg, auf dem der Herr Gideon zur Leiterschaft hinführte. Der Mann kannte seinen eigenen Mangel an Qualifikation und Fähigkeit sehr wohl. Wie David war er der Geringste im Hause seines Vaters, und ohne Zweifel wurde er von seinen größeren – und nach dem weltlichen Standard – viel wichtigeren Brüdern verachtet. Doch er erlebte unter der Hand des Herrn eine ständige und fortschreitende Reduktion. Aussonderung und Erprobung reduzierten seine Ressourcen auf ein Minimum. Der Herr benutzte sehr genau die Vorsichtsklausel «damit nicht»: «Damit Gideon nicht das Gefühl hat, damit Israel nicht sagen kann: Durch meine eigene Kraft, durch unsere eigene ausreichende Vorsorge haben wir triumphiert».
Gideon scheint dem Herrn nicht widersprochen und nicht mit Ihm argumentiert zu haben. Die Führer dieser Welt wollen viel Platz und viele Mittel. Gideon war davon überzeugt, dass Gott genügte. Er stimmte mit Gottes Weisheit und Gottes Urteil überein, dass eine kleine Schar mit soliden Werten besser ist als eine große Menge mit einem geteilten Herz.
Dies also sind die Faktoren, die eine Leiterschaft begründen, die das Recht hat, zu sagen: «Seht mich an und macht es ebenso». Der Leiter muss geistlich all das sein, was er möchte, dass die andern es sind. Er muss geistlich denen voraus sein, die er führen möchte.
Andere Dinge mögen bei anderen Ereignissen auftauchen, hier jedoch können wir diesen vier vorhin erwähnten Dingen einen hohen Wert beimessen, denn es waren Dinge, auf Gott sich verpflichtet hatte.
Niemand wird Davids Recht darauf bestreiten wollen, in die Liste der Führer der göttlichen Geschichte aufgenommen zu werden. Die Sache war einfach die: David musste seine Funktion antreten, weil Gott es so wollte. Alles rottete sich zusammen, um es zum vornherein zu verhindern oder es später umzustürzen. Seine Familie verachtete ihn, ja, selbst sein Vater nahm ihn nicht zur Kenntnis. Saul trachtete ihm aus Eifersucht jahrelang nach dem Leben. Sein eigener Sohn, Absalom, konspirierte verräterisch gegen ihn und traf Vorkehrungen für seine Entthronung. Selbst der Teufel schien entschlossen zu sein – und zwar mit jedem möglichen Mittel – ihn fertig zu machen. Dass er überhaupt Israels größter Führer wurde, sagt deutlich und wortreich, dass das von Gott war.
Doch war es nicht einfach und einzig nackte Souveränität. Es gab Grund in David, auf dem Gott arbeiten konnte. Die Souveränität Gottes ignoriert die Schwachheiten, Irrtümer und Fehler nicht einfach, auch nicht das Böse im Menschen. David wurde in tief ernsten Übeln und Fehlern schuldig, und kein Mensch wurde je gründlicher gezüchtigt als er. Dennoch fand die göttliche Berufung jenes Etwas in dem Menschen, das Gott genügte, einen Grund zu legen, damit ein großer Führer aus ihm wurde. Es ist dieser Grund, dem wir unsere Aufmerksamkeit schenken wollen, wenn wir darangehen, die Fakten und Gesichtspunkte der Leiterschaft in der Bibel zusammenzutragen.
Es gibt bei David ein charakteristisches Merkmal, das alles erklärt und das eine ganze Menge in sich schließt. Z.B. GEISTLICHE GRÖSSE. David stieg in schlicht erhabene Höhen geistlicher Größe hinauf, und die einzelnen Vorkommnisse waren von äußerst prüfungsreichen Natur. Das werden wir sehen, wenn wir voran schreiten.
Wir wollen zuerst die Quelle dieser geistlichen Größe prüfen, die es Gott ermöglichte, von ihm als von «einem Mann nach Gottes Herzen» zu sprechen.
Unter der geistlichen Größe Davids lag
1. Ein großer Sinn für Verantwortlichkeit . Man könnte sehr viel aus dem Mut und der Hingabe machen, die aus diesem Sinn für Verantwortung hervorging, z.B. als David die Schafe vor dem Löwen und Bären verteidigte und sie von ihnen rettete. Wir können davon ausgehen, dass in jener Stunde, als kein öffentliches Auge ihn beobachtete, als kein anderes Motiv oder anderer Anreiz vorlag, wenn Gott bei ihm eine Bereitschaft wahrgenommen hätte, sein eigenes Leben zu retten oder das Leben eines einzigen Schafes zu opfern als eine Angelegenheit der Diskretion oder Politik, Er David nie zum Hirten Seines Volkes und als Typus für den «großen Hirten der Schafe, unseren Herrn Jesus» erwählt hätte, der Sein Leben für die Schafe dahingab, und der sagte: «Wer sein Leben retten will, wird es verlieren, und wer sein Leben um Meinetwillen verliert, wird es finden».
Dann, gemäß demselben Prinzip der Verantwortung, mit allem, was darüber geschrieben und gesagt worden ist, wurde nicht zu viel aus der Begegnung mit und dem Angriff auf Goliath gemacht. Das war der Stoff seiner späteren Sorge für die Nation.
Es ist allzu leicht, göttliche Interessen für die persönliche Sicherheit und für persönlichen Gewinn zu opfern – auf billige Weise die Dinge wegzuwerfen, die Gott kostbar sind, und dies wegen einem unangemessenen Sinn für Verantwortung. Wenn man tatsächlich sagen kann, dass irgend eine Einstellung oder ein Verhalten unsererseits dem Volke Gottes einen Verlust einbrachte, dann haben wir alle Rechte verspielt, als geistlicher Leiter betrachtet zu werden.
2. Ein Herz ganz für Gott . In den Vorfällen mit dem Löwen und dem Bären wird es aus seinen Worten zu Saul deutlich, dass es wie vor dem Herrn war: «Der Herr, der mich errettete». Dem Herrn kam die Ehre zu.
Im Falle von Goliath waren der Herr und Seine Ehre das motivierende und aktivierende Interesse. Diese Sache des «Herzens für den Herrn» führt uns zu allzu vielen Ereignissen, Verbindungen und Ausdrucksweisen, als dass sie alle hier aufgeführt werden könnten, doch ist dies auch gar nicht nötig. In einem gewissen Sinne fasst dies sein Leben zusammen und strömt aus in seinen Psalmen. Wie sehr erklärt dies Gottes große Geduld und Treue! Es war ein Sinn für Verantwortung für die Ehre des Herrn.
3. Eine große Sorge für das Haus Gottes . David war zu einer klaren Wahrnehmung von Gottes ewigem Verlangen gelangt, eine Wohnstätte zu haben inmitten Seines Volkes. Er empfand so tief, dass er für die Befriedigung Gottes in dieser Angelegenheit Verantwortung übernehmen sollte, dass er sich folgendermaßen ausgedrückt hat:
«Gedenke, Herr, dem David alle seine Mühsal! Der dem Herrn schwor, ein Gelübde tat dem Mächtigen Jakobs:
«Ich will das Zelt meines Hauses nicht betreten,
Ich will das Lager meines Bettes nicht besteigen.
Ich will meinen Augen keinen Schlaf gestatten,
keinen Schlummer meinen Augenlidern,
bis ich eine Stätte finde für den Herrn,
Wohnungen für den Starken Jakobs.» Psalm 132.
Wir wissen von seinen Mühen und seiner Sehnsucht nach dem Haus des Herrn; sie bilden einen großen Teil der Psalmen. Eine solche Hingabe an das, was dem Herzen Gottes so teuer war – und noch immer ist – brachte Gott an seine Seite, und obwohl er Zeiten der Ablehnung, der Verfolgung, der Entehrung, und – in der Episode von Absalom – des Exils und des Herzzerbrechens durchmachen musste, rechtfertigte Gott ihn schließlich. Eine solche Verantwortlichkeit für die Befriedigung Gottes ist ein Hauptfaktor bei von Gott erwählter Leiterschaft.
4. Ein großer Respekt und Blick für die Salbung . Die Salbung war – für David – etwas sehr Heiliges. Selbst wenn sie einem gegeben wurde, der sich selbst in ungerechtfertigter Weise zu Davids Feind gemacht, und der ihm unsägliche Schmach zugefügt und ihm unaussprechliche Leiden verursacht hat, war David trotzdem nicht bereit, seine Hand gegen Gottes Gesalbten auszustrecken. Nicht, obwohl es für ihn ein immenser Vorteil gewesen wäre, dies zu tun; und auch wenn dieser Feind vollständig seiner Barmherzigkeit ausgeliefert war.
David mag gewusst haben, dass die Missachtung der Salbung, wo immer sie auch war, auf das Haupt dessen zurückkehren würde, der sie missachtet hat, doch er suchte kein solches Gericht. Die Salbung war für David eine sehr verantwortungsvolle Sache, und er wollte sie weder in Worten oder Taten antasten.
5. Eine ehrliche Klage über den Fall seines Feindes . Vielleicht erhob sich Davids geistliche Größe an keinem Punkt in größere Höhe als in seiner Klage über Sauls Tod. Er war weit entfernt von dem Geist, der sagt: «Er hat es verdient»; «es ist Gottes gerechtes Gericht über ihn», und so weiter. Es gab keine Anspielungen, keine Verurteilungen, kein Erinnern an Sauls böse Taten; keine Selbstrechtfertigungen, keine Häme und kein Frohlocken. Leid, Kummer, Bedauern und Freundlichkeit schluchzte sich in dieser Klage beinahe aus. Im Lichte all dessen, was er von Sauls Hand zu erleiden hatte, konnte nur wahre Größe seinem Geist zugesprochen werden. Die Geschichte mag dem Ende Sauls ein ganz anderes Gesicht geben, und die Verfasser der Chronik machen daraus keine Romanze; für David jedoch war es etwas Kummervolles.
Ja, geistliche Größe war wahrhaft charakteristisch für David.
6. Enttäuschter Ehrgeiz . Wir haben gesehen, welch großen Raum das Haus Gottes in Herz und Leben von David einnahm. Doch als es um die konkrete Realisierung seines heiligen Ehrgeizes und den Bau des Hauses ging, wurde es ihm untersagt und das Vorrecht ihm vorenthalten. In sehr bestimmten Worten sagte Gott: «Du wirst das Haus nicht bauen» (1. Könige 8,19). Was hätte ein kleinerer Mann getan? Wir überlassen es dem Leser, diese Frage zu beantworten. Was David angeht, so war er zweifellos enttäuscht und traurig, doch er erhob sich über die persönlichen Gefühl hinweg und bereitete mit aller Macht alles für das Haus vor (1. Chronik 29,2), und steuerte auch aus seinem privaten Besitz zu all seinen öffentlichen Fonds und Ressourcen bei.
Zuzuschauen, wie ein anderer vollbringt, was das größte Verlangen unseres Herzens war, bedeutet einen Test für geistliches Maß; doch dem andern mit aller Macht zu helfen, ist ein Test für Größe – vorausgesetzt natürlich, dass der Herr diesen andern mit der Salbung für dieses Werk ausgezeichnet hat.
7. Korrigierbarkeit, wenn Fehler gemacht wurden . Mehr als einmal beging David einen schlimmen und kostspieligen Fehler. Wir wollen diese Fehltritte nicht aufzählen. Ein hervorragendes Ereignis das Heraufbringen der Bundeslade nach Jerusalem auf einem neuen Wagen entgegen der Art, wie es in der Schrift vorgeschrieben war. Das Motiv war rein und die Absicht richtig. Doch die Methode war falsch und ein Unglück kam über das Vorhaben. Ussah fiel tot zu Boden. David wurde zornig über den Herrn. Doch suchte er in der Schrift nach einer Erklärung, und nachdem er sie gefunden hatte, gab er seine Bekümmertheit auf, nahm die nötigen Korrekturen vor und tat die Sache auf die von Gott angewiesene Weise. Auch hier wiederum bewies er, dass er geistlich groß genug war, um ein Führer zu sein. Er konnte seinen Fehler zugeben. Er konnte ganz Israel wissen lassen, wo er falsch gehandelt hatte. Und er konnte entsprechend handeln.
Ein sehr großer Faktor bei der Leiterschaft ist diese Gnade und Fähigkeit, sich korrigieren zu lassen, wenn Fehler gemacht wurden. Auch große Männer machen Fehler, doch ihre Größe zeigt sich darin, wie sie damit umgehen.
8. Empfindsamkeit der Sünde gegenüber . Dies braucht nur kurz erwähnt zu werden, denn sogleich springt viel aus Davids Psalmen und aus seiner Geschichte ins Gedächtnis. Die traurigsten, herzzerreißendsten und verheerendsten Ergüsse eines kummervollen Herzens finden sich in einigen von Davids Äußerungen. Und gewöhnlich stehen sie im Zusammenhang mit seinen Sünden und Fehlern. Eine solche Empfindsamkeit gegenüber Fehlern in uns selbst ist in Gottes Urteil unbedingt nötig.
Ein weiteres Vorandrängen, wenn Falsches richtig gestellt werden sollte, bedeutet, den Geist hart und unempfindsam werden zu lassen. Der Geist Gottes ist sehr empfindsam. Eine feinere Sensibilität ist ein Kennzeichen von vornehmen Seelen und von geistlicher Bildung.
Ich denke, was wir gesagt haben, genügt, um der Angelegenheit der Leiterschaft noch mehr Substanz zu verleihen, und es bleibt bloß noch wiederholt zu werden, dass Leiterschaft bei Gott nicht offiziell und durch menschliche Anstellung erworben werden kann; sie ist grundsätzlich immer eine Sache des geistlichen Maßes.
NehemiaAssyrien und Babylonien hatten Israel verwüstet – und zwar Volk und Land – und es herrschte Einöde. Wenn Assyrien und Babylon die Macht dieser Welt bedeuten, dann wurde der Welt, weil das Volk Gottes mit den Göttern dieser Welt getändelt haben, von Gott erlaubt, die Kraft des einst heiligen Volkes zu zerstören. Babylon steht für Verwirrung, und der Abstieg von der hohen geistlichen Position, in die Gott sie versetzt hatte, hinunter zum Erden-Anstrich brachte das Volk des Herrn in den Griff einer Verwirrung, die sie hilflos und beschämt werden ließ. Verwirrung herrschte, und wo die Verwirrung herrscht, nehmen Schwachheit und Frustration überhand. Die Zeit in diesem Zustand genügte – nicht mehr und nicht weniger – um die Betroffenen in keinerlei Zweifel zu lassen, dass es für das himmlische Zeugnis eine fatale Sache ist, im Geist auf diese Erde und zu deren Wegen hinabzusteigen – besonders auf religiösem Gebiet. Doch nachdem diese Tatsache unauslöschbar in der Geschichte seines Volkes aufgezeichnet war, war die Zeit gekommen, dass Gott sich IN RICHTUNG WIEDERHERSTELLUNG in Bewegung setzte. Für dieses Werk der Wiederherstellung war eine Leiterschaft notwendig, und Nehemia war Gottes Mann für diese Gelegenheit.
Nachdem wir die Zeit und die Gelegenheit festgestellt haben, müssen wir als nächstes auf die Bedeutung dieser Bewegung achten.
Wenn Babylon die Verwirrung repräsentiert – was immer für diese Welt charakteristisch ist – und wir sollten klar verstehen, dass das Kennzeichen des Fluches, der einst dieser Erde von Gott auferlegt wurde, weil der Mensch einen andern Gott gewählt hatte, für immer und stets Verwirrung ist in den Völkern und Nationen dieser Erde – dann wird Gottes Bewegung der Wiederherstellung eine Erneuerung der Unterschiedenheit zum Ziel haben. Es ist nicht notwendig, zu sagen, dass Israel in jeder Hinsicht von Gott als ein unterschiedliches und anderes Geschlecht und Volk begründet wurde. Es ist eine fundamentale Wahrheit, dass das Volk Gottes sich von allen andern Völkern unterscheidet, und bei Gott ist dies eine Sache von allergrößtem Ernst. Siebzig Jahre des Exils und der Gefangenschaft mit all ihren unaussprechlichen Leiden und Kümmernissen sind ausreichende Beweise dafür, wie ernst Gott diese grundlegende Sache nimmt.
Die Mauer von Jerusalem stellte symbolisch eine Grenze dar, die markierte, was sich drinnen und draußen befand, und die Tore waren der Nachdruck für diesen Gesichtspunkt. Auf diesen Gesichtspunkt wird auch im Zusammenhang mit jener anderen symbolischen Stadt, dem himmlischen Jerusalem, Bezug genommen. Die Tore versinnbildlichen die Ratschlüsse und Urteile, die darüber entscheiden, was akzeptabel und zulässig ist und was nicht. Sie sind die Kraft des rechten Urteils. Die Mauer ist das Symbol eines klar unterscheidbaren Zeugnisses für Gott unter den Nationen und vor dem Himmel. Das Niederreißen der Mauer und das Verbrennen der Tore bedeutet demzufolge der Ruin eines unterscheidbaren Zeugnisses von Seiten des Volkes Gottes. Dies, die Bedeutung von Nehemia und seiner Leiterschaft, zeigte Gott im Aufbruch, um die Unterscheidbarkeit Seines Zeugnisses zurückzugewinnen, die der einzige Grund und die einzige Rechtfertigung für die Existenz und den Weiterbestand des Volkes Gottes war und ist.
So sind also Nehemia und die Mauer identisch in ihrer Bedeutung, und Leiterschaft, wie sie in ihm dargestellt wird, bezieht sich auf diese Sache der Eifersucht Gottes. Das Buch, das seinen Namen trägt, kann nicht gelesen werden ohne die Anerkenntnis der Tatsache, dass Gottes Eifersucht im Herzen dieses Mannes geweckt worden war. Nehemia war nicht der Mann, der Vermischung und unkonsequente Elemente geduldet hätte. Diesbezüglich war er tatsächlich wie sein himmlischer Herr. Kompromisse waren für Nehemia untolerierbar.
Die Mauer erklärt in deutlicher Sprache, dass diese Sache von Gott ist. Nichts, das nicht von Gott ist, hat hier irgend einen Platz. Lest das Buch nochmals allein in diesem Licht, und seine Botschaft ist unmissverständlich.
Etwas anderes, das dieselbe Bedeutung aufweist wie die Mauer und Nehemia ist GÖTTLICHE FÜLLE. Jerusalem trug in den Gedanken Gottes stets diese symbolische Bedeutung. Es war der Ort der Überfülle Gottes. In seiner Frühzeit quoll es über mit Leuten, die es als die größte Ehre und das größte Vorrecht erachteten, seine Bürger sein zu dürfen (Ps. 87). Die Nationen brachten ihren Reichtum in sie. Der Tag von Pfingsten fand Jerusalem vollgestopft und überbevölkert «mit Männern aus jeder Nation unter dem Himmel».
Es war von Gott als ein Typus des himmlischen Jerusalem gedacht – der Gemeinde. Und diese Stadt, von dieser Gemeinde – dem Leib Christi – wird gesagt, sie sei «die Fülle dessen, der alles in allen erfüllt» (Eph. 1,23).
Gott glaubte nie an Vakuen. Er glaubte stets an FÜLLE. Sie ist Seine Natur und Sein Verlangen, und er wirkt stets auf göttliche FÜLLE hin. Wie vieles könnten wir hier einfügen, um diese Feststellung zu untermauern. Aber ach, in der Zeit, an die wir denken, war Jerusalem leer und verwüstet - «ohne Form und leer» (engl. Text) – in der Tat ein Vakuum! So bezieht sich Leiterschaft, wie sie sich in Nehemia darstellt, darauf, wie die göttliche FÜLLE im und durch das Volk Gottes wiederhergestellt wird.
Lasst uns hier ein Wort einfügen im Blick auf diesen Zustand heute. Die geistliche Magerkeit, Kleinlichkeit, Armut und die konsequente Schwachheit von vielen der Kinder Gottes ist eine schreiende Tragödie heutzutage. Seit Jahren wurden wir von Christen an vielen Orten angerufen: «Wir haben so wenig geistliche Nahrung in unseren Gemeinden». Es gibt wirklich so viele hungrige Kinder Gottes.
Muss man diesen Zustand vor die Tür derjenigen legen, die scheinbare Leiter sind? Es muss sofort festgestellt werden, dass, was für Ziele auch immer Leiterschaft erfordern, dieses eine der geistlichen FÜLLE nicht das geringste ist. In diesem Punkt zu versagen bedeutet, in einer Angelegenheit zu versagen, die die eigentliche Natur und das Herz Gottes ist. Männer Gottes, befinden sich die Leute, für die ihr verantwortlich seid, auf dem Weg «der Fülle Christi»?
Blickt nochmals auf Nehemia und erkennt, dass das Feuer in seinen Knochen das Feuer von Gottes Sorge dafür war, dass Seine Fülle Seinem Volk wieder zugänglich wurde und charakteristisch für es war. Und während wir die Leiter oder die verantwortlichen Männer ansprechen, wollen wir auch dem Volk sagen, dass es Gottes positiver Wille ist, dass ihr vor allem andern den Eindruck mit euch tragt, dass ihr ein wohlhabendes und reich begabtes Volk seid – dass euer Gott ein Gott der Überfülle ist. Versichert euch dessen, dass ihr euch alles aneignet, was erhältlich ist, und dass ihr die himmlische Nahrung weder vernachlässigt noch verachtet.
Und während wir nochmals auf Nehemia blicken, sollte uns noch etwas anderes beeindrucken. Es ist dies, dass wenn wir wirklich in einer Linie sein wollen mit dem, was Gott zu irgend einem Zeitpunkt tut, und wenn unsere Herzen mit Seiner eigenen unmittelbaren Sorge entflammt sind, wir stets göttliche Unterstützung erhalten und mit allem Nötigen versorgt werden. Um diese Unterstützung zu finden, müssen wir auf Gottes positiver Linie der Unterscheidbarkeit und FÜLLE sein als ein Zeugnis für Ihn selbst. Die Frage der Versorgung ist sehr akut in der organisierten Christenheit, die zu einer endlosen Vielzahl von Zweckmäßigkeiten. Sicher, wenn der Himmel herrscht und alle Ressourcen enthält und wirklich etwas will, wird der Himmel immer Seine Anforderungen erfüllen und das Erforderliche liefern. Können nicht auch wir diesen Aspekt von Nehemias Leiterschaft erwarten und an ihn glauben?
Wenn das Werk Gottes in Seinen Händen bleibt und man nicht zulässt, dass es an die Erde gebunden wird, wird es die Unterstützung des Himmels haben, und selbst wenn es genügend Opposition hervorruft, wird es im Triumph «vollbracht» werden. Es ist das geistliche Leben des Volkes Gottes – des himmlischen Israel – das nach einer solchen Leiterschaft verlangt, wie sie von Nehemia repräsentiert wird. Sie wird nicht alle ansprechen, sondern bloß einen «Überrest», doch bei ihnen wird man die Befriedigung finden, dass Gott das bekommt, was Ihm am nächsten am Herzen liegt.
In Nehemia haben wir als Beispiel dieser benötigten Leiterschaft:
1. Einen Mann, dessen Herzen über den Umständen bricht.
2. Einen Mann mit der Sicht von Gottes besonderen Verlangen und Vorsatz.
3. Einen Mann mit geistlicher Initiative, die von einer unmittelbaren und engen Berührung mit Gott beherrscht wird.
4. Einen Mann, der mit einer wahren geistlichen Diskretion ausgestattet ist.
5. Einen Mann ohne Kompromisse, einen, der die nicht die Politik dem Prinzip vorzieht – voll von heiligem Mut.
6. Einen Mann frei von persönlichen Interessen im Werk Gottes.
7. Einen Mann begabt mit geistlichem Unterscheidungsvermögen.
Herr, erwecke doch solche Männer für diese notvolle Stunde.
«Seid meine Nachahmer, wie auch ich Christi (Nachahmer) bin» (1. Kor. 11,1)
Wenn ein Mensch so etwas sagt, dann mutet er sich eine sehr schwere Verantwortung zu. Er zieht Christus in Sein Verhalten hinein, und für jeden, der auf Seine Anweisung hört und dann in die falsche Richtung geht, bedeutet dies, dass Christus am begangenen Irrtum beteiligt war. Der Möchte-gerne-Leiter müsste einem sehr vollen und vollständigen Verständnis von Christus und Seinen Wegen verpflichtet sein.
Die Geschichte liefert reichliche Beweise dafür, dass Paulus sich der Verantwortung, die er auf sich nahm, wohl bewusst war, und zudem auch für die Tatsache, dass Paulus ein sicherer Führer in allem, was Christus betraf, war. Wenn wir also zu einer Betrachtung der Leiterschaft wie im Falle von Paulus kommen, sehen wir auch Leiterschaft im Falle von Christus in mancher wesentlichen Hinsicht.
Es wäre überflüssig, wenn wir Zeit mit dem Versuch vertrödeln würden, zu beweisen, dass Paulus ein Leiter war. Jedermann weiß, dass er es war. Niemand in diesem ganzen Heilsabschnitt nach Christus hat mehr Einfluss auf Verstand und Leben so vieler Leute ausgeübt wie er, und auch heute bringt er die besten theologischen Hirne ganz schön in Trab.
Doch was wir bezwecken wollen, ist dies, die hervorstechendsten Punkte seiner geistlichen Leiterschaft für alle, die irgend welche Verantwortung unter dem Volk Gottes tragen, zu einer klaren Definition zu bringen. Wir werden sieben solche Faktoren einer geistlichen Leiterschaft aufzeigen.
1. Sicht
Mit «Sicht» meinen wir ein (alles) beherrschendes Ziel und einen ebensolchen Vorsatz. Paulus war ein Mann von immenser Energie, und seine Energien umfassen eine große Zahl von Details und Dingen. Doch Paulus war nicht einfach ungeheuer aktiv mit der Absicht, die Dinge zu erledigen. Das heißt, er führte kein Leben von diffusen Aktivitäten, nicht einmal von guten Werken. Alles entsprang vielmehr einem klaren, positiven Ziel und war an dieses gebunden. Paulus hatte etwas gesehen. Er nannte es «das himmlische Gesicht», und dafür, sagt er, sei er «von Christus Jesus ergriffen» worden. Er war ein Mann, der sehr klar wusste, wohin er ging, wozu seine vielfältigen Aktivitäten dienten, und wie das Ende von allem auszusehen hatte. Er hat präzise und knapp dargelegt, worin diese Sicht und dieses Ziel bestand. Wenn es irgend etwas geben sollte, für das die Geschichte Zeugnis ablegen kann, dass es wirklich dauerhaft war – obwohl zeitweise unterschätzt und vielleicht sogar verleumdet – muss es aus einer gottgeschenkten Sicht des göttlichen Vorsatzes ausgehen und von ihr beherrscht werden. Es muss eine klare Sicht davon vorhanden sein, wie die Dinge sein könnten, wenn Gott einen wahren Ausdruck und eine Verwirklichung dessen hätte, worin seine volle und erhabene Absicht besteht.
Zuweilen wird es Enttäuschungen, Entmutigungen, Herzzerbrechen und beinahe Verzweiflung geben, doch kann es dazu keine Alternative geben oder eine Hinwendung zu einigen Ersatzstücken. Die Sicht, wenn sie von Gott geschenkt wurde, wird so sehr ein Teil des Leiters sein, dass sie für ihn nichts Geringeres als Leben oder Tod bedeutet. Dies ist offensichtlich bei allen einstigen Sehern, und ebenso sehr im Falle von dem Apostel Paulus.
2. Erfahrung
Wenn wir erwähnen, Erfahrung sei ein wesentlicher Bestandteil bei der Leiterschaft, dann denken wir nicht notwendigerweise zuerst an die Anzahl Jahre. Es mag zwar Zeit benötigen, doch ist Leiterschaft eine Frage der Qualität und nicht der Quantität. Leiter sind oft Menschen, die eine ganze Menge in einen kurzen Zeitraum hineingepresst und konzentriert bekommen haben. Was wir besonders mit Erfahrung meinen, dass der Betreffende – durch eine tiefe, vielleicht drastische Geschichte mit Gott – selbst zu dem geworden ist, zu dem hin er andere führen möchte. Keine bloße Theorie oder ein Textbuchkonzept ist Geschichte. Seine Sicht, sein Ziel und dessen Prinzipien sind in ihn selbst hineingewirkt worden. Er ist selbst seine Botschaft! Es geht eine heimliche Macht von seiner Persönlichkeit aus, die nicht in erster Linie von der intellektuellen Überzeugung her kommt, sondern von Gottes Wegen mit ihm. Der Mann und seine Botschaft sind ein und dasselbe. Er kennt das in seinem eigenen Wesen, worüber er spricht und wonach er trachtet. Erfahrung bedeutet einfach: das, was aus gründlicher Prüfung und Erprobung hervorgeht. Sie ist mit dem Experiment verwandt: etwas, das geprüft wurde, das einem Test unterzogen wurde. Leiterschaft beruht auf diesem Wissen und Sein als Ergebnis von Prüfung und Erprobung.
Wir brauchen nur auf den besonderen Dienst des Apostels Paulus zu schauen und zu beachten, wie Gott mit ihm umging, nicht nur von seiner neuen Geburt her, sondern von seiner natürlichen Geburt her, wie all das in diesem Dienst zusammenpasste. Wie schwierig, ja unmöglich, zu glauben es auch sein mag, es gibt eine geheime Geschichte Gottes im Leben eines Menschen, der von Ihm zur Leiterschaft auserwählt wurde – selbst bevor er eine lebendige Erkenntnis des Herrn hatte – und seit der Zeit der Wiedergeburt gibt es eine Geschichte mit Gott, die sich auf den Vorsatz bezieht. In den meisten Fällen ist es eine tiefe Geschichte – ein Hineinstopfen und –pressen in einer vergleichsweise kurzen Zeitspanne von dem, was Realität hervorbringt und die Theorie zu etwas fast Abscheulichem macht.
3. Originalität
Hand in Hand mit der Erfahrung geht die Originalität, sie ist nur eine leichte Abweichung davon. Das, ihrer eigentlichen Natur nach, schließt jede Bemühung oder jeden Versuch, «originell» sein zu wollen, aus. Es geht nicht darum, dass wir bestrebt sind, anders zu sein, dass wir die «ausgetretenen Pfade» verlassen oder um irgend etwas anders. Originalität ist keine freiwillige Missachtung alter oder existierender Ordnungen mit der Absicht, etwas Neues zu beginnen. Es ist nicht das Bemühen, etwas zu denken, das niemand zuvor je gedacht hat. Es bedeutet auch nicht, geschickt und klug zu sein. Auch ist Originalität keine Imitation; das versteht sich von selbst. Das Wort selbst bedeutet schlicht «Anfang». Es ist nicht etwas, das wir von einem andern oder von andern aufgeschnappt haben. Es ist auch nicht etwas, das wir in unserem Unterbewussten abgespeichert haben und das nun wieder auftaucht, selbst ohne dass wir merken, dass es nicht unser Eigentum ist. Es steckt in der eigentlichen Natur der Sache, die Gott in uns wirkt, dass sie so real, so wunderbar und persönlich ist, dass wir nicht glauben können, jemand hätte es je zuvor gekannt.
Man kann eine bestimmte Sache jahrelang predigen, und dann, eines Tages, bringt der Herr dieses Leben zu einer lebendigen Erfahrung genau dieser Sache, und er/sie wird kommen und zu euch darüber predigen, als wärt ihr die unwissendsten Gemüter in dieser Angelegenheit. Doch seht das Leben, die Kraft, die Freude im Original! Wie oft wäre es sachdienlich, vielen Predigern und Möchte-gerne-Predigern gegenüber die Frage Christi an Pilatus in Erinnerung zu rufen: «Sagst du das von dir selbst, oder haben andere mit dir über mich geredet?» Mit andern Worten: «Woher hast du das?»
Es ist entscheidend wichtig, sollten andere in eine Erfahrung hineingeführt werden und nicht bloß in eine Lehre oder Theorie, dass der Leiter wirklich imstande ist zu sagen: «Der Herr hat es mir mitgeteilt». In dieser Sache hat der Apostel Paulus uns nicht in Zweifel gelassen: «Es war nicht nach dem Menschen... auch habe ich es nicht von Menschen empfangen» (Gal. 1,11.12 etc.).
Ob es nun in demselben Maße so ist oder nicht, jedenfalls muss die Wahrheit und das Prinzipielle in jeder Form von Leiterschaft vorhanden sein.
4. Mut
Es mag völlig unnötig erscheinen, das Argument des Mutes in Verbindung mit der Leiterschaft ins Gespräch zu bringen. Das scheint doch so offensichtlich zu sein. Aber es ist gar nicht so offensichtlich. Vieles hängt davon ab, was man unter Mut versteht. Physischer Mut ist eines – vielleicht das Allgemeinste. Moralischer Mut ist wieder etwas anderes – weit weniger allgemein. Doch geistlicher Mut gehört noch einmal einer andern Ordnung an, und er ist am wenigsten allgemein. Wir wollen keine Zeit bei den Unterschieden verlieren, sondern wollen direkt ins Herz der Dinge vordringen. Doch lasst uns dies feststellen – die Art von Mut, von der wir hier reden, beruht letztlich nicht auf irgend etwas Natürlichem. Er kann auch nicht auf einer physischen oder moralischen Konstitution beruhen. Tatsächlich können diese von sehr geringer Quantität sein.
In der Richthalle von Pilatus– oder an sie anschließend – gab der Mann, der glaubte, jedem moralischen Test gewachsen zu sein, während der Gerichtsverhandlung über Christus einen erbärmlichen Anblick ab, reduziert auf einen verwerflichen Feigling. In Jerusalem jedoch – weniger als zwei Monate später vor denselben Autoritäten, war das eine, was an ihm beobachtet und von ihm berichtetet wurde, sein «Mut». Das ist es, was wir mit «geistlichem Mut» meinen. Er gründet sich nicht auf das Temperament, sondern steht über dem Temperament. Temperament oder Bildung mögen auf das Diktat von Politik und Diplomatie hin handeln und sich verhalten. Das Temperament hasst möglicherweise den Weg der Unpopularität; oder es hasst es, Freunde, Stellung, Vorteile zu verlieren. Darum wird wohl ein Kompromiss mit Selbstschutz und Selbsterhaltung die Zuflucht oder die Hintertür aus dem Dilemma sein. Es könnte schlimmer sein, doch ist dies der schwächste Weg. Wahrer Mut ist ein Beharren auf dem Grundsätzlichen, und dies um jeden Preis; er kennt keinen Kompromiss, wenn Kompromiss in erster Linie ein Opfern irgend eines geistlichen Wertes bedeutet, und letztlich auf das Hinausschieben des entscheidenden Tages hinausläuft.
Mut ist nicht einfach unvernünftige Sturheit. Er ist auch kein Mangel an Bereitschaft, sich korrigieren zu lassen oder zuzugeben, einen Fehler gemacht zu haben. Er mag das genaue Gegenteil von diesen Dingen sein.
Mut ist ein klares Wissen um die entscheidenden göttlichen Prinzipien und eine Bereitschaft, um ihretwillen alle persönlichen Interessen fahren zu lassen. Wiederum ist gerade die Leiterschaft von Paulus von dieser Art.
5. Ausgleich
Man könnte denken, wenn wir dem, was eben gesagt wurde, noch den «Ausgleich» oder «das Gleichgewicht» anfügen, dass wir etwas zurücknehmen wollen, weil so oft «Ausgleich» und «Kompromiss» miteinander verwechselt werden. Es könnte so sein, aber das wäre nicht immer richtig. Der beste Weg, den Unterschied aufzuzeigen, ist wiederum der, unseren Apostel zu betrachten, und wenn wir dies tun, sehen wir ein klares Spiegelbild unseres Herrn in dieser Hinsicht.
Wenige Menschen haben so starke gegensätzliche Gesichtszüge auf wunderbarere und wirksamere Weise ausgeglichen wie dieses Beispiel zeigt. Dass Paulus ein Mann von sehr starken Wirkungen war, ist unbestritten. Was immer er tat, tat er mit Stärke. Seine eigene Beschreibung von sich selbst trifft sehr zu:
«So kämpfe ich, nicht als jemand, der in die Luft schlägt» (1. Kor. 9,26).
Es gab bei Paulus kein Schattenboxen. Wenn er zuschlug, schlug er hart zu und traf ins Schwarze. Die Kräfte, die in diesem kleinen Körper und Verstand angestaut waren, waren sehr stark, und Ausgeglichenheit war bei ihm weder eine Charakterschwäche noch ein schwächliches Auftreten.
Ausgeglichenheit im Falle dieses Leiters zeigt sich deutlich in der Kombination von Autorität und Freundlichkeit. Er konnte dieselben Leute das, was der «den Stock» nannte, spüren lassen, und dennoch in Tränen zerschmelzen vor lauter Sympathie und Sanftheit. Er konnte - wie sein Meister – diejenigen, die andern oder auch den Interessen Gottes Schaden zufügten, einfach zerstört und beschämt stehen lassen, sozusagen «ohne einen Fuß, auf dem sie stehen konnten». Und trotzdem konnte er – wie in Korinth – einen grimmigen Kampf mit bloßer Liebe und Sanftmut gewinnen.
Es ist nicht unsere Absicht, die verschiedenen Kontraste aufzuzählen, die in Paulus harmonisch zusammenfanden, vielmehr wollen wir aufzeigen, dass ein echter geistlicher Führer nicht nur lauter Wille ohne Herz, lauter Sanftheit ohne Stärke, lauter kalte Vernunft ohne sympathisierende Vorstellungskraft, lauter saloppe Gefühlsduselei ohne «wahrheitend in der Liebe» ist (Eph. 4,15).
Ausgleich erfordert das Gegengewicht zu Gegensätzen, und der Mann, der andere führen will, muss ihr Vertrauen gewinnen – wenn möglich – indem er Stärke, Festigkeit, Treue – selbst wenn er wenn nötig verletzen muss – im Gleichmaß mit Verständnis, Freundlichkeit und Sympathie hält.
6. Abhängigkeit von Gott.
Vielleicht würde es für einige mehr Sinn machen, wenn man diesen besonderen Gesichtspunkt der Leiterschaft in den Kontext natürlicher Ineffizienz stellt. Das heißt, dass demjenigen, den wir im Auge haben, die Dinge fehlen, die natürlicherweise eine Leiterschaft ausmachen. Zum Beispiel: wenn «Herkunft», Schulung, Erziehung, intellektuelle Fähigkeiten, sozialer Status, Persönlichkeit, und ähnliche Qualifikationen, etwa erworbene Titel und Fähigkeiten von sehr gewöhnlicher oder magerer Art sind. Dann könnten wir eine ehrliche Abhängigkeit von Gott sehr wohl verstehen und schätzen.
Es gibt der Sachlage ein vollständig anderes Gesicht, wenn all diese Dinge in einem ungewöhnlichen Maße vorhanden sind; und es öffnet die Türe zu einer sehr ernsten Schlussfolgerung. Wenn es auf den Apostel Paulus, der all diese natürlichen Vorzüge allen andern Menschen voraus hatte, zutrifft, dass er ein Mann war, der in allem von Gott abhängig sein musste – und er wusste, dass ihm nichts anderes übrig blieb – und dass er losgelöst von Gott völlig kraftlos war – den drängen sich uns ernsthafte Schlussfolgerungen auf.
Es wäre ein zu großes und zu langes Stück Arbeit, alle Beweise für diese Abhängigkeit zusammen zu tragen: Alles, was wir von seiner eigenen Feder wissen über seine «Unzulänglichkeiten», «Schwachheiten», Gebetsanliegen, dass ihm geholfen werde; sein Bekenntnis, dass er Hilfe von Gott empfangen habe; und die eine große Erklärung: «... dass wir selbst am Leben verzweifelten; ja, wir hatten in uns selbst schon das Todesurteil, damit wir nicht auf uns selbst vertrauten, sondern auf Gott, der die Toten auferweckt» (2. Kor. 1,8.9). Wir hätten auch noch all die Belehrungen über den «Glauben» einschließen müssen, der die eigentliche Grundlage seines Lebens war.
Zu welchen Schlussfolgerungen also werden wir durch diesen Fall gedrängt?
Die erste ist offensichtlich die, dass, welchen Wert die Souveränität Gottes auch immer in solchen natürlichen Gesichtspunkten haben mag, sie an sich noch keine Garantie für eine geistliche Leiterschaft sind. Sollte je ein Mensch, der zur Leiterschaft berufen worden ist, dazu tendieren, «sich auf seinen eigenen Verstand zu verlassen», dann würde er sich verwirrt wieder finden. Die Salbung ist etwas Zusätzliches zum Vollsten und Besten, und – beachtet dies bitte – sie gehört einer anderen Ordnung von Qualifikation an.
Das führt uns zu einer weiteren Schlussfolgerung. Es ist die, dass natürliche oder erworbene Fähigkeiten – höchstens – Knechte und nicht Meister sind. Sie gehören zur Seele; z.B. Intellekt, Gefühl und Wille, denn diese sind mit dem Wort «natürlich» im Neuen Testament durchwegs gemeint. Die Seele ist die Dienerin des Geistes, und es ist im und durch den menschlichen, «wiedergeborenen» Geist, dass der Heilige Geist wohnt und wirkt. Die Seele ist dasjenige, durch das die menschliche Kommunikation von Mensch zu Mensch geschieht. Der Verstand hilft dem Verstand. Das Herz hilft dem Herzen. Der Wille hilft dem Willen. Das alles ist gut, aber es bleibt auf der natürlichen Ebene, bis das Zusätzliche der Salbung hinzutritt. Dann bewegen sich die Dinge auf die ewige Ebene mit Ergebnissen, die viel weitreichender sind. Genau hier bekommt die Abhängigkeit (von Gott ihre eigentliche Bedeutung; doch sie bezieht sich auf den ganzen Menschen – auf Geist, Seele und Leib, wie zu sehen bei Paulus.
7. Loyalität
Es wäre schwierig, endgültig festzulegen, welches die größte aller Tugenden ist; doch beim Versuch, eine solche Schlussfolgerung zu ziehen, würden wir uns unter einer beträchtlichen Verpflichtung befinden, die Loyalität sehr hoch, wenn nicht an die Spitze zu setzen. Loyalität schließt so viele Dinge in sich wie Zuverlässigkeit, Verlässlichkeit, Treue, Beständigkeit, Großmut usw. Sie ist deshalb eine solch große Tugend, weil sie in solch entschiedenem Kontrast zu den niedrigsten und verächtlichsten aller Züge steht. Verrat könnte zuunterst auf der Skala stehen mit seiner bösen Brut, besonders der Andeutung. Von allen giftigen Pfeilen, die sich im Köcher befinden, gibt es wenige, die finsterer sind als die Anspielung. Sie ist die Zufluchtsstätte des Feiglings, der sich hinter einer Schar von Andeutungen versteckt und sich weigert, sich zu offenbaren. Verleumdungen sind grausame Waffen.
Bei allem, was wir über falsches Verhalten, Schwachheiten, Gemeinheiten und Unloyalität in den verschiedenen Gemeinden und von bestimmten Leuten wissen, ist es mehr als eindrücklich festzustellen, wie sich der Apostel Paulus weigerte, andern Gemeinden oder Personen gegenüber davon zu reden oder zu schreiben. Wir sind von vielem in Korinth angeekelt, was beklagenswert ungerecht, unfair, unfreundlich und grob fleischlich war. Doch finden wir keine einzige Stelle, wo Paulus sie andern Gemeinden gegenüber schlecht macht. Viel eher macht er das Beste aus ihnen. Seine Loyalität finden ihren reichen Ausdruck in seinen Listen mit Leuten, die er erwähnt. Paulus hätte sich nie herabgelassen zu versuchen, sich stark zu machen, indem er irgend jemand schlecht machte. Er war ein Mann, der – hätte sich eine solche finden lassen - der irgend eine mildernde Erklärung fand für ein scheinbares – oder auch tatsächliches – Vergehen, wenn es darum ging, mit andern darüber zu sprechen. Den Delinquenten gegenüber wollte er immer absolut treu und offen sein. Ihr konnte euch auf ihn verlassen, dass er sich vor euch hinstellt, auch wenn er unser Versagen sehr wohl kannte.
Was immer gegen ihn gesagt werden könnte, so wäre die allerverächtlichste Person nötig, um gegen ihn den Vorwurf zu erheben, er sei ein «kleiner» Mann. Er war ein zu großer Mann, um eifersüchtig oder herabsetzend zu sein. Er dachte oder handelte nie leichtfertig, wenn es um Freundschaft ging. Freundschaft war für ihn etwas Heiliges, nie durfte sie billig weggeworfen werden. Wie vieles gäbe es zu sagen zu dieser großen Tugend und zu diesem Faktor der Loyalität, aber auch wenn nur so wenig gesagt wurde, ist es nicht schwierig, zu erkennen, was für einen wichtigen und entscheidenden Teil sie bei der Leiterschaft spielt. Es war weitgehend sie, die Paulus ins Recht setzte, die Position eines geistlichen Leiters zu besetzen, die er innehatte.
Und in dieser Hinsicht, wie in mancher anderen auch, war es sicher, wenn er sagte: «Seid meine Nachahmer, gleichwie ich Christi Nachahmer bin».
Der zweite Brief an die Korinther ist, wie wir wissen, der Brief eines Dieners Gottes. Er sagt uns, was ein Diener Gottes vom göttlichen Standpunkt aus ist, wenn das Kreuz sein Werk tut. Moses, der Diener Gottes, tritt sehr stark ins Gesichtsfeld, wie er im Alten Testament diente, die Gedanken Gottes erklärte und den Sinn Gottes offenbarte. Das ist es, was ein Diener ist. Ein Diener ist, so sagt es dieses Wort, jemand, der die Gedanken Gottes aufzeigt, der den Sinn Gottes manifestiert. Wenn Moses aus dem Gesetz vorlas, dann strahlte sein Gesicht, denn die Herrlichkeit Gottes wurde durch ihn als Knecht Gottes, als Diener Gottes zum Ausdruck gebracht. Und vergesst nicht, das war noch unter dem Alten Bund, unter dem Bund der Zeichen, dem Bund der Symbole, der Sinnbilder; ja, und es war ein Dienst des Todes und der Verdammnis: doch sagt der Apostel, wir haben jetzt einen andern Dienst, und dieser Dienst ist das Hervorstrahlen Gottes im Angesicht Jesu Christi in unseren Herzen. Das ist es, was ein Diener ist; und lasst mich das sehr einfach aber deutlich feststellen.
Es gibt im Neuen Testament nichts von einem offiziellen Dienst als solchem. Gott hat in diesem Heilsabschnitt niemals Beamte als solche eingesetzt, damit sie Diener seien. Der Dienst ist eine Sache der Offenbarung Gottes im Angesicht Jesu Christi, die aus dem Herzen hervorstrahlt, und was den einen Diener mehr als den andern zu einem solchen macht, ist das Maß der Offenbarung Christi in seinem Leben; und wir sollten alle bereit sein, dem Platz in unseren Herzen zu geben. Es muss eine Offenbarung Gottes in eurem Herzen, in meinem Herzen sein, die uns zu Dienern Gottes einsetzt.
... Die Ausweispapiere des Dienstes sind das Hervorstrahlen der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi in unserem Herzen, und jeder, der dies hat, kann ein Diener Gottes sein; und jeder, der dies nicht hat, hat kein Recht, sich Diener Gottes zu nennen. Das Kreuz muss alle Vorstellungen von Dienst zerschlagen, die nur professioneller Art sind, die alles andere als geistlich sind. Geistliche Gaben, geistliche Offenbarung, geistliche Erkenntnis, geistliche Ressourcen, geistliche Reichtümer, diese allein konstituieren uns als Diener Gottes.
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